Der Trend, über den niemand spricht: Die neue Dreiteilung des Agenturmarkts

30.11.2025
Opinion

Wir haben uns neu erfunden – nicht wegen Trends, sondern trotz ihnen. Während die Mitte der Agenturen in Österreich zunehmend verschwindet, erzählen wir, wie wir unseren Weg aus ihr heraus gefunden haben.

Von
Mike Gattereder
Roter Vintage-Sessel steht allein in einer weiten, blauen Landschaft, während seine Rückenlehne hell brennt – surrealistische Szene mit starkem Farbkontrast

Ich könnte jetzt einen SEO-optimierten Artikel schreiben. Keywords wie „Agentur-Trends 2026“, „AI-Tools für Kreative“, „Digital Marketing Transformation“. Der Algorithmus würde es lieben. Und es wäre substanzlos.

Stattdessen machen wir uns selbst zum Trend.

Überheblich? Abgehoben? Arrogant?

Nein. Was uns in den letzten 18 Monaten passiert ist, passiert gerade dem ganzen Markt. Wir sind nicht die Einzigen, die umbauen. Wir sind nur ehrlich genug, darüber zu sprechen.

Die Umpositionierung von einer Digitalagentur zu einer Kreativagentur im März 2025 war eine Achterbahn. Eine Zerreißprobe. Ein unternehmerisches Risiko. Es funktioniert, aber nicht, weil es leicht wäre.

Kurz gesagt:
Der Agenturmarkt spaltet sich in drei Pole und die Mitte verschwindet. Tool-getriebene EPUs liefern schneller und billiger. Agenturen mit proprietären Tools schaffen strategische Abhängigkeit. Kreativ-Leads werden für ihre Haltung gebucht, nicht für Effizienz. Die Mitte – 8 bis 15 Personen, Full-Service, technisch solide, aber kulturell nicht führend – wird vergessen. In den letzten 18 Monaten hat sich der Markt spürbar verschoben – viele Agenturen haben sich neu positioniert, und wir gehören dazu.

Hier ist, was wir gelernt haben und was es kostet.

Die Zange

2025 ist wirtschaftlich angespannt. Budgets schrumpfen, Projekte werden auf Eis gelegt. Gleichzeitig frisst die technologische Entwicklung von unten. Ein Designer mit Midjourney, ChatGPT und Production-Tools liefert in einer Woche, wofür wir früher drei Wochen und drei Leute brauchten, für ein Drittel des Preises.

Wirtschaftlicher Druck von oben, technologische Disruption von unten.

Eine Agentur in dieser Situation radikal umzubauen, Positionierung zu verändern, Projekte abzulehnen und neue Strukturen aufzubauen, ist eine Zerreißprobe. Dass unser Team mitgezogen hat, ist nicht selbstverständlich.

Das System optimiert zum Mittelmaß und der Weg führt in eine Einbahnstraße

Letzte Woche: Pitch-Ausschreibung. Generisches Briefing. Maschinell generierte Scorecard.
Ich habe nicht gesehen, was die anderen gepitcht haben. Aber ich weiß, welche Tools sie verwendet haben. Und dieselben Tools liefern dieselben Ergebnisse.

KI optimiert nicht zur Kreativität, sondern zur Vergleichbarkeit.

Und die Abkürzung ist verlockend.
Template statt Konzept.
ChatGPT statt Copywriter.
Midjourney statt Art Direction.
Schneller, billiger, okay.

Aber es führt direkt ins Mittelmaß. Wenn Gestaltung vor Idee kommt, verschwimmt die Marke. Die Pitches werden austauschbar. Projekte sehen gut aus, aber sagen nichts aus.

Ein Zeichen dafür: Noch nie wurden so viele Kampagnen für Creative- und Performance-Awards eingereicht wie 2024 und 2025. Sichtbarkeit wird zur Währung, wenn die Mitte verschwimmt. Awards sollen Glaubwürdigkeit schaffen, wenn Projekte kaum noch unterscheidbar sind.

Aber Awards machen dich nicht automatisch zur Creative Lead Agency.

Das ist kein Einzelfall. Der ganze Markt bewegt sich.

In den letzten 18 Monaten hat sich der österreichische Agenturmarkt stark verändert.
Tunnel23 wurde zu LWND. Heimat zu Freude. Wir haben uns von einer Digital Agentur zu einer Kreativ Agentur weiterentwickelt.

Das sind strategische Neupositionierungen. Weg von „Full-Service für alle“ hin zu „kreative Führung mit klarer Haltung“.

Gleichzeitig reduzieren die großen Netzwerke ihre Strukturen. Teams werden zusammengelegt, Standorte verkleinert, Leistungen gebündelt. Es ist eine stille Bewegung, aber sie verändert die Branche spürbar.

Was passiert hier?

Die Netzwerke können mit Effizienz und hohen Holding-Kosten kaum noch Marge erzielen. Die Mitte-Agenturen positionieren sich um, weil „Full-Service“ zur Commodity geworden ist. Und viele, die gehen, gründen EPUs mit AI-Tools, die in Wochen aufbauen, wofür Agenturen früher Jahre brauchten. Keine Fixkosten. Hälfte der Zeit. Ein Bruchteil des Preises.

Der Markt spaltet sich. Die Mitte verliert ihre Position.

Warum wir uns im März 2025 neu positioniert haben

Wir haben die EPU-Welle kommen sehen. Gleichzeitig frisst AI immer mehr Junior-Arbeit weg. Mehr Bewerbungen, weniger strategisches Denken. Mit unserem Setup, unseren Fixkosten und dem Full-Service-Anspruch waren wir genau dort, wo der Markt am empfindlichsten ist: in der Mitte.“

Als Digital Agentur wurden wir austauschbar. Nicht, weil wir schlecht waren, sondern weil „Digital“ selbstverständlich geworden ist. Der Druck kam von unten durch EPUs mit AI-Stack und von innen durch das Team, das sich kreative Führung wünschte.

Im März 2025 haben wir uns deshalb neu positioniert. Das bedeutete: keine reinen Plattform-Pitches mehr, keine Quick-Shops, keine Projekte, in denen wir nur liefern statt führen.

Wir wollten raus aus der digitalen Mitte.

Wie der Agenturmarkt sich wirklich spaltet

Der Markt teilt sich in drei Lager:

  • Die Tool-Getriebenen: kleine Teams, die mit AI-Tools in Tagen liefern, wofür Agenturen Wochen brauchen. Schnell und günstig, aber nicht skalierbar.
  • Die Tool-Builder: Agenturen, die eigene Systeme entwickeln, etwa für Media, Tracking oder Automation. Technologisch stark, aber abhängig vom Lebenszyklus dieser Systeme.
  • Die Kreativ-Leads: sitzen beim Kunden am strategischen Tisch. Gebucht für Haltung, Urteilskraft und Originalität. Nicht die günstigsten, aber die relevantesten.

Die Mitte: 8 bis 15 Personen, solide, aber unsichtbar.
Und genau deshalb verschwindet sie.

Warum wir uns für die Kreativ-Leads entschieden haben

Wir können nicht zu den Tool-Getriebenen werden. Wir wollen nicht zu den Tool-Buildern werden. Also konzentrieren wir uns auf den Weg der Kreativ-Leads.

Wie wird man eine Creative Lead Agency, wenn man es noch nicht ist?

Durch Fokus und Beweis.

Wir haben uns spezialisiert: Automotive mit BYD, Subaru, Suzuki und MAXUS Motors. Innerhalb von drei Monaten entwickelten wir Website, Performance-Tracking und Kampagnen-Layout für BYD. Heute ist BYD Nummer zwei im EV-Markt Österreich.

Und im Social Impact Bereich: Haus der Barmherzigkeit, Saint Charles. Menschen aus der Langzeitbetreuung standen vor der Kamera, nicht für Mitleid, sondern für gesellschaftliches Bewusstsein. Mit Saint Charles entwickelten wir ein Produkt, dessen Erlöse direkt in die Kampagne fließen. Eine strategische Brand-Collaboration statt einer klassischen Charity.

Das kann kein EPU. Das gelingt nur mit einer Agentur, die kreativ führt.

Wir haben unsere Arbeitsweise neu geordnet. Kleine, eingespielte Teams aus drei bis vier Personen begleiten Projekte von der ersten Idee bis zum Go-Live. Keine Silos, keine Übergaben. Die gleichen Menschen tragen Verantwortung vom Konzept bis zur Umsetzung.

Wir rekrutieren nach kognitiver Originalität und lehnen Projekte ab, in denen wir nur Lieferant wären.

Funktioniert das? Ja.
BYD ist Nummer zwei im österreichischen EV-Markt. Das Haus der Barmherzigkeit wurde ausgezeichnet. Pitches gewinnen wir über Haltung, nicht über den Preis.

Aber es kostet. Projekte abzulehnen kostet kurzfristig Umsatz. Neue Teamstrukturen aufzubauen kostet Zeit. Nein zu sagen kostet Energie. Doch es ist der einzige Weg aus der Mitte heraus.

Die entscheidende Frage

Der Agenturmarkt spaltet sich radikal. Die Mitte verschwindet.
Die Frage ist nicht mehr, wer die besseren Tools hat.
Die Frage ist, wer die klarere Haltung zeigt.

Die Tool-Getriebenen werden effizienter.
Die Tool-Builder werden technologisch unverzichtbarer.
Die Kreativ-Leads werden relevanter.

Und die Mitte?
Sie verschwindet schneller, nicht langsamer.

Wir haben uns entschieden, wo wir stehen wollen. Nicht, weil wir Technologie ablehnen. Sie gehört zu unserer DNA. Wir nutzen sie als Werkzeug, nicht als Ersatz für Denken.

Wir wollen nicht die schnellste Agentur sein.
Wir wollen die Agentur sein, die anders denkt.

Und dieser Trend ist nicht laut, aber er verändert den Markt.
Die Frage, die bleibt:
In welcher der drei Kategorien willst du 2027 gefunden werden?

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